Die Leitideen des Kyu-Prüfungspramms

An dieser Stelle möchten wir die Zielsetzungen, methodisch-didaktischen Leitideen und nicht zuletzt die Inhalte des Kyu- Ausbildungs- und Prüfungsprogramms vorstellen. Sämtliche Inhalte sind aus dem Skript zur Multiplikatorenschulung entnommen, welches in mühsamer Arbeit von der Arbeitsgruppe APO erstellt wurde. An dieser Stelle geht der besondere Dank an Hannes Daxbacher, Klaus Kessler, Ulrich Klocke, Rudolf Mieth, Jan Schröder, Franz Zeiser und den Arbeitgruppenleiter Ralf Pöhler.

Die Leitideen zum Prüfungsprogramm

Die erste Gürtelprüfung sollte laut Empfehlung mit Vollendung des 7. Lebensjahres abgelegt werden. Damit wird den veränderten motorischen Voraussetzungen unserer Kinder (vgl. WIAD-DSB Studie 2003, mit über 20 % schlechteren Leistungsvoraussetzungen) Rechnung getragen. Gleichzeitig hat der DJB für den Altersbereich der 5-7jährigen ein eigenständiges auf das Judo vorbereitende Lehrkonzept entwickelt, damit die jüngeren Kinder an den Verein gebunden werden können.

Innerhalb der Kyu-PO gibt es eine Zweiteilung in Grundausbildung und Grundlagentraining mit inhaltlichen Schwerpunktsetzungen. Damit wird gleichzeitig eine Übereinstimmung mit den Rahmentrainingsplänen des DJB erzielt. Parallel zur judospezifischen Ausbildung sollen die allgemeinen motorischen Fertigkeiten und koordinativen Fähigkeiten umfangreich ausgebildet werden.

Die Judo-Grundausbildung (8. – 5. Kyu)

„Judo kennen lernen und Grundlagen schaffen“

Ziele: 

  1. Der Judoka soll einen motivierenden Einstieg ins Judo erfahren.
  2. Der Judoka soll Verantwortung übernehmen und Vertrauen erfahren im Umgang mit einem Partner und innerhalb einer Übungsgruppe.
  3. Der Judoka soll die Judo-Etikette kennen lernen.
  4. Der Judoka soll die koordinativen und motorischen Grundlagen erwerben und verbessern
  5. Der Judoka soll sicher und angstfrei fallen lernen.
  6. Der Judoka soll kontrolliert werfen können.
  7. Der Judoka soll grundlegende Judotechniken im Stand und Boden erfahren, erlernen und anwenden (mit dem Körper begreifen).
  8. Der Judoka soll Freude an der fairen kämpferischen Auseinandersetzung entwickeln (insbesondere am Boden).

In diesem ersten Ausbildungsabschnitt sollen grundlegende Judofertigkeiten zu beiden Seiten in Grobform vermittelt werden. Die erlernten Wurftechniken sollen in den ersten beiden Kyustufen in anfängergerechten Situationen und geradlinigen Bewegungen (vor- und rückwärts) als Reaktion auf Ukes Angriff (=Situation nutzen) gezeigt werden.

Später wird Tori selbst aktiv, schafft sich günstige Situationen und nutzt Ukes Angriffe aus. Es besteht in diesem Ausbildungsabschnitt eine deutliche Schwerpunktsetzung zugunsten der Anwendungsaufgaben gegenüber den Randoriaufgaben (s. Skizze). Letztere werden in der Grundausbildung erst allmählich und behutsam eingeführt.

Das Verhältnis von Anwendungsaufgaben und Randori

Von Beginn an wird eine Verzahnung der Standarbeit und der Bodenarbeit angestrebt. Dies wird in den Anwendungsaufgaben Boden deutlich.

Auch bei den Bodentechniken wird von Beginn an großer Wert auf Beidseitigkeit gelegt.

Es werden schwerpunktmäßig Haltegriffe und dazugehörige Befreiungen unterrichtet. Die Anwendung erfolgt in den anfängergerechten Standardsituationen Kniestand, Rückenlage Bankposition oder Bauchlage. Ab dem 5. Kyu kommen die ersten Armhebel (je ein Vertreter der Streck- und Beugehebel) hinzu.

Im Gegensatz zum Standrandori kann Bodenrandori von Beginn an mit größerem Widerstand durchgeführt werden. Dies jedoch so dosiert, dass im Miteinanderkämpfen für beide Chancen offen bleiben. Der Umfang des Bodenrandori ist gegenüber dem Standrandori deutlich höher.

Das Judo-Grundlagentraining * (4. – 1. Kyu)
„Vertiefen, Erweitern und Variieren“

Ziele:

  1. Der Judoka soll eine überdauernde Motivation zum Judo durch neue Leistungsanreize und Herausforderungen entwickeln (Wettkampf, Kata)
  2. Der Judoka soll sich vertiefend mit grundlegenden Judotechniken beschäftigen.
  3. Der Judoka soll sein Technikrepertoire im Stand und Boden erweitern.
  4. Der Judoka soll weitere Technikprinzipien im Stand und am Boden kennen lernen.
  5. Der Judoka soll lernen, komplexe Situationen im Stand und Boden mit geeigneten Techniken zu lösen. ( z.B. Kombinationen, Finte, Konter, komplexe Übergangs-/Bodensituationen)
  6. Der Judoka soll die Judo-Werte kennen. (Eine Kontrolle kann erfolgen, indem Randori auch gegen niedriger Graduierte ausgeführt wird)
  7. Der Judoka soll vertiefende sportartspezifische Kenntnisse erwerben.

Die Techniken der Grundausbildung sollen weiter verbessert werden. Dies wird stichpunktartig im Prüfungsfach Vorkenntnisse geprüft.

Auf dieser soliden Basis aufbauend wird das Repertoire der Wurftechniken erweitert, vor allem im Hinblick auf Wettkampfrelevanz, aber auch als Vorbereitung für das Erlernen der Nage-no-kata.

In diesem Ausbildungsabschnitt werden vor allem die koordinativ schwierigeren Eindrehtechniken auf einem Bein, die vom Fallen her gesehen problematischen Sutemitechniken, die im Wettkampf erfolgreichen Beingreifer und auch kraftvolle Kontertechniken gelehrt. Die Komplexität in der Anwendung wird durch Kombinationen und Kontertechniken deutlich gesteigert.

Der Individualisierung und beginnenden Spezialisierung wird durch die freie Auswahl von sinnvollen Situationen durch den Prüfling Rechnung getragen. In diesem Ausbildungsabschnitt nimmt das Randori unter Einbeziehung von Ukes dosiertem Verteidigungsverhalten zunehmend größeren Raum ein.

Bei den Bodentechniken erfolgt eine umfangreiche Ausweitung der Hebeltechniken. Hinzu kommen noch Würgegriffe. Alle Techniken sollen intensiv in den Anwendungsaufgaben aus den Standardsituationen und vor allem im spielerischen und nicht verbissenen Bodenrandori gefestigt werden.

Aufbauend auf der Basis der Grundausbildung werden trainingsbegleitend vertiefende sportartspezifische Kenntnisse (Technik/ Taktik, Technikprinzipien, Wettkampfregeln etc.) vermittelt.

Ab dem 3. Kyu werden im Prüfungsfach Kata stufenweise Teile der Nage-no-kata erlernt.

Dabei soll mehr Wert auf das Technikstudium als auf die Vervollkommnung des Zeremoniells gelegt werden. Durch den behutsamen Einstieg in das Fach Kata soll ein motivierender Zugang zu dieser neuen Form des Technikstudiums geschaffen werden.

Der Kerngedanke unserer Judoausbildung ist das moderne Technikverständnis:

Judotechniken sind kein Selbstzweck!

Sie sind bewährte Lösungen einer Kampfsituation, mit dem Ziel, den Gegner gegen dessen Widerstand mit Ippon zu besiegen.

Alle Techniken basieren auf der Wechselwirkung von Aktion und Reaktion. Im ersten Ausbildungsabschnitt nutzt Tori eine Aktion oder einen Fehler von Uke zu einem eigenen Angriff aus. Später verleitet er Uke bewusst (z.B. durch einen Scheinangriff) zu einer Reaktion, die er dann letztlich zu seinem Vorteil mit Ippon nutzen kann. Alle Techniken werde in so genannten „Wenn… Dann…-Beziehungen“ unterrichtet.

Daher kommt der Rolle von Uke eine besondere Bedeutung zu, was sich auch in seinem Verhalten während der Prüfung widerspiegeln muss. Bei der Demonstration der Technikgrundform lässt Uke bei normaler Körperspannung alle Aktionen von Tori zu, ohne jedoch zu helfen, indem er z.B. beim Wurf mit springt. Bei den Anwendungsaufgaben stellt Uke die geforderte Situation mit einer angemessenen Dosierung (Angriffsaktion, Geschwindigkeit, Widerstand…) her. Jeder Judoka muss sowohl die Rolle von Uke als auch die von Tori erlernen und zunehmend sicherer beherrschen. Der ständige Perspektivenwechsel zwischen Tori und Uke bewirkt ein besseres Technikverständnis und entspricht dem von Kano formulierten Prinzip des gegenseitigen Helfens (vgl. S.6).

Im Randori werden Situationen nicht mehr abgesprochen und die Rollen von Tori und Uke wechseln ständig und ohne Absprache, beide Übenden greifen an und verteidigen dosiert. Sie machen ein Randori mit- und nicht gegen einander. Dies versteht man im DJB unter „kultiviertem Kämpfen“.

Die unterschiedlichen Prüfungsformen Demonstrieren, Anwenden, Randori und Kata verdeutlichen die Vielseitigkeit des Technikstudiums (in den ersten vier Stufen auch als Hinführung zur Kata).

Zunächst muss die Technik-Grundform mit einem kooperationswilligen Partner beherrscht werden. Auf dieser Basis werden dann in den systematisch aufgebauten Situationen deutliche Bezüge zum Zweikämpfen hergestellt. Die in den Prüfungen zu demonstrierenden Aufgaben sind systematisch aufgebaut. Vor allem wird zu Beginn dem „typischen Kampfstil“ der Anfänger Rechnung getragen. Im Standkampf sind es zuerst geradlinige Bewegungen - starker Druck und Schub nach vorne oder starker Zug nach hinten, im Bodenkampf die Ausgangssituationen Kniestand, Bauch- und Rückenlage.

Mit zunehmender Kampferfahrung werden diese fest vorgegebenen Aufgaben mit der eindeutigen Rollenverteilung zugunsten freier Lösungssituationen aufgegeben. Es kommen die typischen Kampfelemente wie Kumi-kata, Verteidigungsverhalten, Kombinieren, Fintieren und Kontern hinzu. Damit einhergehend wird allmählich der Widerstand gegen Wurfversuche erhöht, ohne verbissen zu werden. Wir weisen nochmals darauf hin: In der Prüfung bedeutet Randori auf jeden Fall immer miteinander kämpfen!“

In diesem Sinne grüßt Euch
Ralf Lippmann

* Der Begriff „Grundlagentraining“ beinhaltet, dass zum Erreichen der aufgeführten motorischen Ziele eine systematische, regelmäßige und nachhaltige technisch/ taktische Ausbildung notwendig ist. Das Grundlagentraining soll auf keinen Fall einseitig wettkampfsportlich ausgerichtet sein.