Best Practice: Durch Judo Zweitklässlern Werte vermitteln
Der Wermelskirchener Judoclub veranstaltet für Grundschüler Judo-Wochen. Dabei geht es nicht nur darum neue Mitglieder zu gewinnen.
An diesem Morgen geht es auf der Matte im Dojo des Judoclubs Wermelskirchen (JCWK) nicht um Waza-ari und Ippon, sondern Spaß und Wertevermittlung stehen im Vordergrund. Vorstandsmitglied und Trainer Sven Dicke hatte Zweitklässler der Katholischen Grundschule St. Michael (KGS) eingeladen, um in den Judosport hineinzuschnuppern. Und das aus einem guten Grund, „denn durch den Offenen Ganztag haben die Kinder den Zugang zu den Vereinen verloren“, meint Sven Dicke: „Wir wollen den Kindern damit wieder ein Angebot schaffen.“ Und daher haben sich an diesem Morgen rund 20 Grundschüler zum ersten Kurs der Judo-Wochen versammelt.
Es ist nicht das erste Mal, dass der JCWK eine solche Aktion veranstaltet. Vor acht Jahren gab es den sogenannten „Tag des Judo“, der vom Deutschen Judobund ins Leben gerufen wurde. Dabei zeigten JCWK-Mitglieder in der Sporthalle des Gymnasiums rund 600 Kindern, wie faszinierend der Judosport ist. „Das waren aber viel zu viele. Wir konnten gar nicht richtig auf die Kinder eingehen“, sagt Sven Dicke und daher überlegten sich die Verantwortlichen ein neues Konzept und nennen es in Wermelskirchen mittlerweile Judo-Wochen. Jeden Monat an jeweils zwei Dienstagen kommen nun rund 20 Kinder pro Kurs ins JCWK-Dojo. „Wir haben das vorher mit den Schulleitungen besprochen und ihnen unser neues Konzept vorgestellt. Und es wird angenommen, denn alle Grundschulen machen mit“, erklärt Sven Dicke.
Aber der Start ist manchmal etwas schwierig. An diesem Tag kam eines der Kinder später als die anderen aus der Umkleide und während alle schon auf der Matte tobten, traute es sich dann nicht sofort miteinzusteigen. Für Sven Dicke ist das aber kein Problem: „Ich habe mir das Kind geschnappt und gesagt: ‚Komm mal zu mir. Ich helfe dir ein bisschen‘ und dann ging es. Und schon war das Eis gebrochen“, erklärt der Trainer. Rund 500 Kindern wird er bis Dezember spielerisch mit „Ringen und Raufen“ den Judosport näherbringen. „Dazu gehören auch die Werte dieses Sports. Und das sind Respekt, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Freundschaft“, sagt der zweite Vorsitzende des JCWK. Er erzählt, dass der Partner im Judo auch gleichzeitig sein Trainingsgerät ist, auf den es aufzupassen gilt und auf den man angewiesen ist.
Solche Werte sind auch ein Grund, warum die Sparkasse Wermelskirchen diese Aktion mit 1000 Euro unterstützt. „Gerade das Thema Körperlichkeit bleibt heutzutage, wo viele Kinder vorm Computer sitzen oder auf ihrem Handy spielen, doch oft auf der Strecke“, erklärt dann auch Sparkassendirektor und Vorstandsmitglied Hans-Jörg Schumacher: „Deshalb finden wir es gut, dass der Sport gefördert und unterstützt wird.“
Derweil wird auf der Matte weitergekämpft und die Grundschüler sind voller Elan und mit viel Freude dabei. Es werden sogenannte Befreiungen geübt oder wie man seinen Kontrahenten zu Boden wirft – alles spielerisch und vor allem „alles freiwillig“, so Sven Dicke, der auch erklärt, warum es gerade Zweitklässler sind, die hier an den Judosport herangeführt werden. Erstklässler sind noch zu sehr damit beschäftigt, sich mit ihrem neuen Umfeld anzufreunden und wissen daher noch nicht, wie alles funktioniert. Viert- und Fünftklässler haben oft schon ihre Sportart gefunden und sind angekommen. „Zweitklässler wissen oft noch nicht, welchen Sport sie ausüben wollen, und sind noch ein bisschen auf der Suche“, glaubt Dicke: „Und sie sind auch vom Kopf her so weit, dass sie das Koordinative umsetzen können.“
Nichtsdestotrotz muss der Trainer aber auch ab und zu mal lauter werden, weil die Kinder so in ihren Kampfsituationen verstrickt sind. Dann ruft er laut „Mate“ – was im Judo warten bedeutet. Manchmal muss er auch zwei- oder dreimal rufen, aber er macht dies mit einer Engelsgeduld, auch weil die Kinder ihm am Herzen liegen. „Ich schnappe mir einfach die Kinder, schleife sie auf die Matte und sie vergessen alles um sich herum“, beschreibt Sven Dicke. Von Berührungsängsten oder Scheu ist dann nichts mehr zu sehen.
Im Vordergrund steht natürlich die Bewegung, der Respekt für den Trainingspartner und die Werte, die den Judosport auszeichnen. „Wenn das am Ende hängen bleibt, wäre es für mich das Größte“, meint Sven Dicke: „Und wenn sich dann noch jemand bei uns im Verein anmeldet, wäre das natürlich super.“ Und am Ende stellen sich alle noch einmal auf, verbeugen sich, wie es im Judo üblich ist, um seinem Gegenüber den entsprechenden Respekt zu erweisen. Dann macht der Trainer noch mal klar, dass er mit diesen eineinhalb Stunden „Ringen und Raufen“ sehr zufrieden war und Mitgliedsformular bereitliegen. Ein Mädchen ruft sofort: „Ich bin schon angemeldet.“ Sven Dicke freut sich und hat nun noch einige Gelegenheiten, Werte zu vermitteln und Mitglieder zu akquirieren, denn bisher haben erst rund 50 Kinder an der Judowochen teilgenommen und 450 Zweitklässler freuen sich noch auf ihren Dojo-Besuch
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Foto: Frihtjof Bublitz